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Europäischer Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung

Anlässlich des Europäischen Protesttags zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung gab es am Montag, 5. Mai, in Mühlacker eine Protestdemonstration.

Ausgerichtet wurde die Veranstaltung von verschiedenen Selbsthilfeorganisationen der Stadt Pforzheim und dem Enzkreis so wie der Bezirksgruppe Pforzheim des Badischen Blinden- und Sehbehindertenvereins.

Lesen Sie im Folgenden die beeindruckende Rede von Brigitte Schick, Bezirksgruppenleiterin Pforzheim:

Wir begehen heute wie in jedem Jahr den Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. Ich möchte Sie an meinen Gedanken zu diesem Protesttag teilhaben lassen. 

Wir müssen den Schutz vor Diskriminierung stärken!

Der im Jahr 1994 in das Grundgesetz eingefügte Artikel 3, Absatz 3, Satz 2 sowie der seit 2009 in Deutschland verbindliche Artikel 5 UN-BRK beinhalten das Verbot der Benachteiligung bzw. Diskriminierung aufgrund von Behinderung.

Vor über 30 Jahren wurde das Benachteiligungsverbot wegen Behinderung im Gesetz verankert. Diskriminierung durch gesetzliche Regelungen und tatsächliches Handeln oder Unterlassen gehört noch immer zum Alltag von Menschen mit Behinderungen in Deutschland.

Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen sind noch immer Realität und die Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren, unzureichend.

Dies betrifft alle Menschen mit Behinderung, unterschiedlich je nach ihrer Lebenssituation.

Ich möchte hier und heute insbesondere die Lebenssituation blinder und sehbehinderter Menschen beleuchten. Dies umfasst alle Lebensbereiche:

  • Digitale und analoge Barrierefreiheit,
  • Zugänglichkeit für alle im öffentlichen Raum,
  • Mobilität,
  • Schule, Ausbildung und Arbeitsleben,
  • Gesundheitsversorgung
  • oder die kulturelle und gesellschaftliche Teilhabe.

hier ein paar konkrete Beispiele:

Als erstes möchte ich die Mobilität ansprechen. Unser Veranstaltungsort, hier Bahnhof Mühlacker, ist für dieses Thema wie geschaffen. Ein funktionierender barrierefreier ÖPNV ist für uns eine lebensnotwendige Voraussetzung für unsere Mobilität. Ich möchte hier als Beispiel auf das Zwei-Sinne-Prinzip mein Augenmerk richten. Es nützt uns nichts, wenn Gleisverlegungen, Zugausfälle, Verspätungen oder Fahrplanänderungen lediglich optisch auf einem Display angezeigt werden, der akustische Hinweis jedoch fehlt. Umgekehrt trifft dies für gehörlose oder schwerhörige Menschen zu. Gleiches gilt für die anzeigen und ansagen in den Zügen oder Bahnen.

Mobilität ist eine zwingende Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben. Eine gleichberechtigte Teilhabe ist in vielen anderen Lebensbereichen notwendig: beispielsweise Ampelquerungen ohne akustisches Signal, zugestellte Blindenleitsysteme.

Die Digitalisierung hat inzwischen in allen Lebensbereichen Einzug gehalten. Der barrierefreie Zugriff auf viele digitale Angebote ist leider immer noch nicht gegeben.

Die Pandemie hat uns dies vor einigen Jahren sehr deutlich gezeigt. Aufgrund der Einschränkungen durch den Lockdown waren häufig Terminvereinbarungen, Buchungen und Reservierungen nur noch online möglich. Menschen ohne den Zugang zur digitalen Welt waren damit komplett ausgegrenzt. Die digitalen Angebote müssen aber unbedingt barrierefrei zugänglich sein, so dass eine Teilhabe möglich ist. Hier werden wir seitens der Politik häufig immer wieder vertröstet. Verordnungen und Richtlinien hierfür sind zwar schon seit vielen Jahren in Kraft, doch die Umsetzung lässt noch viele Wünsche offen und die Verwirklichung spricht eine andere Sprache.

Bei der Inklusion in Schule und Beruf müssen noch viele Hürden überwunden werden. Blinde und sehbehinderte Menschen werden bei der Vergabe von Ausbildungsplätzen noch immer benachteiligt. Die Beschäftigung qualifizierter blinder oder sehbehinderter Personen scheitern häufig an Hürden und Barrieren, die trotz gesetzlicher Vorgaben nicht beseitigt werden. Blinden und sehbehinderten Menschen werden so gut wie kein Arbeitsverhältnis auf geringfügig Beschäftigter Basis angeboten. Der berufliche Einsatz, die Fort- und Weiterbildung scheitert oftmals an der unzureichenden Umsetzung von barrierefreien Rahmenbedingungen, analog oder digital.

Noch immer haben Menschen mit Behinderungen keinen gleichwertigen Zugang zu allgemeinen und speziell wegen ihrer Behinderung erforderlichen Gesundheitsleistungen. Dies umfasst die augenärztliche Versorgung, den umfassenden und barrierefreien Zugang zu elektronischen Anwendungen, wie Patientenakte etc. und den darauf gespeicherten Informationen.

Wir und der DBSV, unser Spitzenverband, fordern:

Das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) muss endlich reformiert werden.

Die Missachtung der Pflicht zur Barrierefreiheit und die Versagung angemessener Vorkehrungen sind als Diskriminierungstatbestände anzuerkennen. Bisher zulässige Rechtfertigungsgründe für eine ungleiche Behandlung sind einzuschränken. die Rechte aus dem AGG müssen verbandsklagefähig werden.

Bei öffentlichen Ausschreibungen muss künftig neben dem Datenschutz, den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen auch die Barrierefreiheit ein zwingendes Kriterium werden, um so Diskriminierung zu vermeiden.

Alle Leistungserbringer im Gesundheitswesen wie Ärzte, Kliniken, Therapeuten, Apotheken müssen verpflichtet werden, ihre digitalen Informationen und Dienstleistungen ausschließlich barrierefrei anzubieten.

Der Zugang zu Bildungsangeboten muss barrierefrei gestaltet werden.

Gute Aussichten für die Zukunft?

In knapp zwei Monaten tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft.

Mit diesem Gesetz sollen Vorgaben des European Accessibility Act (EAA) zur Barrierefreiheit bestimmter Produkte und Dienstleistungen umgesetzt werden. Das betrifft u. a. Bankdienstleistungen, den Zahlungsverkehr, den Onlinehandel, bestimmte digitale Dienstleistungen und Produkte. Es wird großen Einfluss darauf haben, ob Menschen mit Behinderungen endlich selbstständig ihre Bankgeschäfte erledigen, online einkaufen, Selbstbedienungsterminals nutzen oder Apps bedienen können.

der im Gesetz verwendete Barrierefreiheitsbegriff lehnt sich an die bekannte Definition des Behindertengleichstellungsgesetzes an. Außerdem sind die Möglichkeiten zum Durchsetzen von Barrierefreiheit deutlich verbessert worden. Das betrifft unter anderem die Schaffung einer Schlichtungsmöglichkeit zur Durchsetzung von Barrierefreiheit gegenüber Wirtschaftsakteuren.

Trotz dieser Fortschritte ist festzustellen, dass wir von einem ambitionierten Gesetz zur Förderung der Barrierefreiheit und damit der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben noch weit entfernt sind, das betrifft u. a. eine zentral und effizient organisierte Marktüberwachung. Wichtig ist zudem, die vorgesehenen Übergangsfristen abzukürzen: Es kann nicht sein, dass wir noch bis 2040 warten sollen, um endlich zum Beispiel überall barrierefreie Geldautomaten vorzufinden. Auch die Ausnahmeregelungen für Produkte und Dienstleistungen sind sehr weit gefasst.

Wir erwarten, dass hier ein Gesetz in Kraft tritt, das sich klar zur Barrierefreiheit in allen Lebensbereichen bekennt. Dazu gehören konkrete Fördermaßnahmen, klare einklagbare Rechte und eine zeitnahe Umsetzung.

Diesen Forderungskatalog könnten wir sicher mit vielen konkreten weiteren Beispielen fortsetzen, die uns die Teilhabe erschweren bzw. unmöglich machen.

Wir werden an vielen Stellen weiterhin ausgegrenzt und damit diskriminiert.

Am heutigen europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung wollen wir deshalb lautstark protestieren und unseren Forderungen zur Antidiskriminierung Ausdruck verleihen.  Wir hoffen, dass unsere Rufe nicht ungehört verhallen.